12.10.2016 Vortrag: „Aroma – Nachhall – Kellerflair“: die Weinsprache hat Polling erreicht

„Aroma – Nachhall – Kellerflair“: die Weinsprache hat Polling erreicht
In meinem Beitrag anlässlich der Jahreshauptversammlung 2015 über die Insel Gorgona (und deren Weine) habe ich zwei Wertungen des Gorgona-Weins aus Zeitgründen nicht mehr vorgetragen:
Der bekannte Sänger Andrea Bocelli sagte über ihn: „Dieser Wein ist die Perle der Aphrodite, leuchtend und verführerisch“.
Eine Sommelier-Wertung lautet: „Er duftet nach der mediterranen Macchia (= Gebüschart), Zitrusfrüchten und Ginsterblüten, Strohblumen und Salbei. Er hat Spannung und ist saftig. Mineralische Kühle trägt ihn bis zum meersalzigen Finale, das ein Mandelton abrundet“.
Die Weinsprache hat sich mit verschiedenen Floskeln bereits in Pollings Weingesellschaft eingeschlichen. Heute möchte ich meine (eigene) Weinsprache präsentieren. Ich mache mich nicht lustig über die Weinsprache der Kenner und Experten, obwohl ich persönlich sie eher erheiternd als hilfreich empfinde. Denn sie ist eine geschraubte, gestelzte Sprache, über (oder abseits) des üblichen Sprachschatzes.
Zur Sprache von Weinkennern und Experten
Sie besteht aus genau definierten Begriffen für Wahrnehmungen der Sinne (Farbe, Geruch, Geschmack, Klarheit, Trübung, Säuregehalt, Duft, Körper (=Vollmundigkeit), Süße …)
Darüber hinaus finden sich unpräzise Begrifflichkeiten (z.B. charmant, samtig), die nicht selten zu Wortspielereien führen oder einen doppeldeutigen Beigeschmack haben, z.B. Abgang > Nachhall > Nachklang. Dazu gibt es reichlich Fremdwörter und neue Wortschöpfungen.
Oberster Zweck der Önologen-Fachsprache: Abgrenzung der Weine, Versuch einer Charakterisierung und Weckung von Neugier bzw. Interesse bei potenziellen Konsumenten
Tendenzen in der neueren Fachsprache:
– etwas unkonventionelles Vokabular, jedoch nicht zu plump (Bsp. ‚trinkig‘ statt süffig)
– ein Wein, der Spaß macht (Genussfaktor als Lebensinhalt steht heute hoch im Kurs …..)
– ein flotterer, nicht eben nur regionen- und traubenbezogener Wein-Name wie „Meraner Vernatsch“,
sondern etwas lockerer, frecher und pfiffiger, z.B. „Iphöfer Domina“ oder „Poysdorfer Saurüssel“
oder „Die verrückte Hausfrau“ oder „Katzenurin auf Stachelbeerbusch“ oder „Zwei linke Beine“
oder „Allesverloren“ oder „Rheingauer Leichtsinn“ oder „Sonne und Mond“ oder „Twentysix“ (zum
26. Geburtstag einer Winzertochter).
Statt weiterer Details hier einige zufällig (aus Zeitungs-Werbebeilagen) ausgewählte Beispiele:
Eine gelungene Assemblage aus dem samtigen, leicht mandeligen und veilchenduftenden Vernatsch mit dem frischen, erdigen und körperreichen Lagrein. Im Duft fruchtig nach reifen Kirschen, Zwetschgen und Himbeeren, am Gaumen samtig und trotzdem kräftig mit weichen Tanninen bei niedriger Säure.
Ein harmonischer Wein von schöner granatroter Farbe mit explosiven Noten von Schwarzkirschen, reifen Erdbeeren, Lavendel und Frühlingsblüten, die im Geschmack durch edle Gewürznoten, feine Röstaromen und einem Anflug von Rauch abgerundet werden.
Voll im Geschmack, körperreich, kraftvoll und gut strukturiert, mit feinen Aromen von Pflaumenmarmelade, Rosinen und Pfeffer.
Am Gaumen sehr harmonisch, samtig und persistent, komplex in seiner Struktur, schöne Beerenaromatik, Balsamiconoten und einer Spur Vanille, langer Nachhall.
Nach diesen Beispielen aus der realen Weinwelt möchte ich zumindest den Versuch machen, Euch vier personifizierte Trauben aus unserem Kreis, die in allerletzter Zeit Geburtstag hatten, in diesem Stil zu vermitteln:
Die Katharina Oderdingensis zählt zu den beliebtesten Trauben. Aus ihr wird köstlicher Wein für jegliche private wie gesellschaftliche Anlässe gewonnen. Ihr Bouquet verrät fein-dosierte Gewürze, die die Schar der Konsumenten durch den Abend traminern lassen. Besonders geeignet für gesangliche und kulinarische Festivitäten. In höchstem Maß bekömmlich, auch in größeren Mengen

Die Traube Franciscus Multihuberensis bewährt sich aufgrund ihres dezenten Aromas als Menu- aber auch als Gala- und Bankett Wein. Sie beherbergt eine inkomparable Würze, die sich wegen ihrer Variabilität jeder Beschreibung entzieht. Sie ist triebig, triebfreudig, ja triebhaft in jeglichen Weinangelegenheiten. Äußerst resistent gegenüber Attacken von Müßiggang oder gar Ruhephasen.
‚Herzige‘, reb-lausige Attacken werden von Sehnsucht nach Harmonie und Ausgeglichenheit überlagert. Die Traube zeichnet eine Frische aus, die nach (erfundenen) 8 Jahrzehnten Ihresgleichen sucht. Sollte unvermittelt Säure auftreten, verflüchtigt sich diese rasch.
Die Traube Anna Maria entstammt der Steiermark und zählt somit zu den sonnenverwöhnten orientalischen Sorten, die allseits wegen ihrer eher unverkennbaren Geschmeidigkeit geschätzt werden. Ihre Migration und Assimilation hat sie schadlos überstanden. Erdigkeit, Kontaktfreude und Wohlgesonnenheit haben ihre Integration beflügelt. Önologen haben nachgewiesen, dass ihr bisweilen eine gewisse Nachrichtendichte entströmt. Ihre Cuvee-Partnertraube ‚Ricardo‘ kann sich glücklich schätzen ob ihres Langmuts, ihrer Sorge und ihrer Zuwendung. Spürbar auch ihre Freude an innovativem und effektivem Wirken im Traubenverbund. Nach neuesten Erkenntnissen wird diese (Freude) ausgelöst durch ‚wieselige‘ und ‚hermelinige‘ Botenstoffe. Klimatische Störungen im Umfeld kann sie zwar nicht einfach ignorieren, sie führen bei ihr jedoch zu keinen nachhaltigen Schädigungen.
Die Traube Rosina Francesca bevorzugt nicht die exponierten Standorte. Dezent steht sie für Qualität und Ästhetik. Obwohl auf den rauen Hängen des Altomonte beheimatet, liefert sie bei pfleglichem Ausbau (und evtl. in Symbiose und als charmanter Cuvee mit den Trauben Carina und Bettina) den von Önologen priorisierten ‚güldenen‘, lieblichen und ansprechend komponierten edlen Tropfen. Sie ist eine geschätzte Zierde des eleganten wie des geselligen Weintisches. Ihr zart-femininer Appeal verbreitet sich unwiderstehlich und betört nicht nur ihr unmittelbares Umfeld.
Ich habe kein Talent in mir entdeckt, das mich befähigt, sommelier-gleiche Charakterisierungen von Weinen zu formulieren. Aber die Sprache der Sommeliers hat mich immerhin angeregt, den Versuch zu starten, unsere Weinkeller-Atmosphäre in diesem Stil zu charakterisieren. Das Ergebnis dieses Versuchs möchte ich Euch zum Schluss noch zumuten.
„Die aparte Humidität (= Feuchte) der altehrwürdigen Gemäuer verbindet sich innig mit wallenden Hitzeströmungen aus den peripher angeordneten Sitzgelegenheiten. Diese Mixtur – verbunden mit rundbogig verstärkter akustischer Effizienz – fördert eine äußerst dezente Kommunikation, derer sich alle Besucher – ausnahmslos anmutige Damen und elegante Herren – befleißigen.
Eine künstlerisch phantasiereich gestaltete Menükarte offeriert eine Auswahl an Köstlichkeiten, die einen auch in kulinarischer Hinsicht genussreichen Abend garantiert. Attraktiv sind Präsentation und Verzehr der mit tiefer Liebe zum Detail individuell und sorgfältigst komponierten Speisen.
Die von adrett gekleidetem Servicepersonal professionell und mit höchstgradig geschliffener Etikette servierten Weine schmeicheln nicht nur dem Gaumen, sondern auch der Seele. Darüber hinaus fördern sie hochgeistige Gespräche, die oft eine unvermutete Genialität erkennen lassen.
Intermittierende gesangliche Einlagen, deren Libretto ausnahmslos dem kulturell hoch stehenden Liedgut entstammt, bahnen sich ihren Weg in die Kelleroase. Ein noch zaghaft initiiertes Solostück kann sich rasch zum umfassenden Crescendo erweitern. Damit verbindet sich ein melodiöses Gläserklingen, das augenfällig und unüberhörbar Wohlbefinden und Gelöstheit aller Gäste steigert.
Behände agierendes, zuwendungsaffines und mit einnehmendem Wesen überaus gesegnetes Thekenpersonal steuert gelassen, aber hocheffizient den Versorgungsprozess der sich nach Liquidem sehnenden Gaumen. Der Service zelebriert mit unnachahmlicher Galanterie und zugleich Akkuratesse die abend-finalen Inkassogeschäfte, so dass so mancher Kellerkunde dezent zur großzügigen Aufrundung des Endbetrags verführt wird.
Insgesamt eine alle Sinne der Weinfreunde berührende Atmosphäre, deren Charme höchst angenehm empfundene Elemente physischer und psychischer Abhängigkeit – typischerweise verbunden mit sich repetierendem Verhalten – in sich birgt. Kurzum also: Ein Gewölbe mit einem extraordinären Flair.“

Richard Maier